Public Space

Editorial im Magazin „kunst und kirche“ Ausgabe 2.2024

Negar Hakim und Marina Döring-Williams

Es ist unbestreitbar, dass in vielen Regionen der Welt der Bedarf an traditionellen sakralen Orten für religiöse Praktiken zurückgeht. Gerade im 21. Jahrhundert ist es kaum vorstellbar, dass die Stadtplanung immer noch von zentralen Sakralbauten ausgeht. Tatsächlich wurden in den letzten 100 Jahren viele städtische Modelle der Avantgarde-Moderne entwickelt, die sich von sakralen Strukturen distanzieren. Dadurch geht das kulturelle Zeichen des Sakralbaus in der Gesellschaft verloren.

Dieses Phänomen geht mit dem technischen und gesellschaftlichen Wandel, dem Rückgang der Religiosität und der Zunahme säkularer Lebensstile einher. Die Religionen verlieren als Instanz der Welterklärung an Relevanz. Diese Entwicklung führt dazu, dass die Rolle von Sakralbauten als reine Zentren der Religiosität und des spirituellen Lebens zunehmend infrage gestellt wird. Gleichzeitig wächst jedoch der Bedarf an Orten für Treffen, Austausch und gemeinsame Aktivitäten. In einer zunehmend vernetzten Welt sehnen sich die Menschen nach Möglichkeiten des Zusammenseins, des Dialogs und gemeinsamer Erfahrungen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Religion weiterhin Architektur als bedeutenden Faktor im Stadtbild nutzen sollte. Ein Sakralbau kann sich heute von einem Mittelpunkt zu einer Botschaft entwickeln, indem er seine Andersartigkeit in Gesellschaften, die sich zunehmend säkularisieren, erkennt. Auf diese Weise kann er seine Mission und Bedeutung durch die unvermeidliche Diskrepanz von Funktion und Form stärken. Dies könnte sich in einer neuen architektonischen Gestaltung äußern, die sich mit Dichotomien auseinandersetzt oder relevante Integration in das städtische Gefüge ermöglicht.

Die vorliegende Ausgabe widmet sich dem Phänomen der Sakralbauten als Public Space und untersucht, wie diese Bauten im urbanen Kontext vielfältig genutzt werden können, statt sich ausschließlich auf ihre traditionelle Funktion als religiöse Orte zu beschränken. Dabei steht die Anpassung bestehender Gebäude für profane Zwecke im Fokus, ebenso deren Transformation von einer religiösen Praxis zur anderen. Des Weiteren wird die Berücksichtigung der aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnisse bei der Planung neuer Sakralbauten behandelt, um sicherzustellen, dass sie als allgemeine soziale Zentren und dynamische Umgebungen fungieren können. Dies erfordert ein sensibles Gleichgewicht zwischen Wertschätzung der Geschichte und Mut zur kreativen Neuinterpretation.

Die Beiträge präsentieren vielfältige Ansätze, insbesondere im Kontext der drei abrahamitischen Religionen. Einerseits zeigen sie, wie Religionen aktiv dazu beitragen können, mittels Sakralbauten den städtischen Raum auf vielfältige Weise zu gestalten und zu erleben. Andererseits verdeutlichen sie, wie kreative Architekten mit ähnlichen Ideologien umgehen können, um sicherzustellen, dass neue Sakralbauten mit ihrer besonderen Atmosphäre als Public Space zu einem essenziellen Bestandteil der modernen Architektur werden. Diese Bauten werden sogar von säkularen Teilen der Gesellschaft als spezielle Orte wahrgenommen und genutzt.

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