Editorial im Magazin „kunst und kirche“ | Ausgabe 03.2020
Negar Hakim und Marina Döring-Williams
Sakralen Raum – unvermeidlich Assoziationsträger – zu schaffen, ist ein komplexes und oft brisantes Unterfangen im Brennpunkt von Religion, Gesellschaft und Politik. Das gilt auch für die islamischen Sakralbauten des 21. Jahrhunderts – in den Heimatländern und erst recht in der Diaspora. So geht in Westeuropa das verstärkte Sichtbarwerden des Muslimischen im öffentlichen Raum in Form repräsentativer Bauten regelmäßig mit Konflikten einher. Trotz jahrzehntelangen Kulturtransfers ruft in den meisten Fällen bereits die Planung einer neuen Moschee heftige Diskussionen und Unzufriedenheit auf unterschiedlicher Ebene hervor.
Auf muslimischer Seite herrscht Uneinigkeit darüber, wie ‚Moschee heute‘ innovativ und modern sein kann, ohne Gefahr zu laufen, die religiöse Identität zu schwächen. Sind Minarett und Kuppel als weithin sichtbares architektonisches Heimatsymbol noch immer unverzichtbar? Denn das Bestehen auf Stadtbild dominierende Elemente vonseiten der muslimischen Kultur wiederum irritiert das Gastland. Nicht zuletzt, wenn mit Fingerzeig auf die herrschende Religionsfreiheit – in einer Art Umkehrschluss gleichgesetzt mit ‚Architekturfreiheit‘ – womöglich die Vorgaben von Stadtbildpflege und Denkmalschutz negiert werden. In einer Welt, in der die Alteingesessenen oft genug nur mehr ‚Kulturchristen‘ sind, muss die gebaute und vor allem die gelebte Repräsentationskraft der Moscheen zwangsläufig ‚be-fremden‘. Als würdige Gebetsräume werden sie meist gar nicht hinterfragt. Vielmehr schwingt hier auf emotionaler und ideologischer Ebene, angeheizt durch das tagespolitische Geschehen, eine abstrakte Furcht vor dem Unbekannten, „dem Islam“ und seinen Versammlungsräumen, mit.
In den folgenden Beiträgen wird der Versuch unternommen, einen ‚europäischen‘ Blick auf Tradition und Transformation der Moscheen von heute zu werfen, sie auch und gerade aus der Perspektive des ‚Fremden‘ zu diskutieren:
- Ist Religionsfreiheit zwangsläufig mit architektonischer Freiheit gleichzusetzen, aus der gerechtfertigte Ansprüche erwachsen?
- Sind Muslime und Musliminnen in der Diaspora bereit, bei der Planung einer Moschee die regionalen und kulturellen Vorgaben des nicht-islamischen Gastlandes zu berücksichtigen?
- Wie weit dürfen diese Vorgaben gehen?
- Wie kann durch Partizipation mehr Akzeptanz geschaffen werden?
Die Beiträge geben einen Überblick über die jüngere Entwicklung des Moscheebaus in Europa, speziell in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es werden unterschiedliche Konfliktpunkte beim Planen und Bauen, aber auch Lösungsansätze diskutiert, die Potenzial für ein vermehrtes Miteinander beinhalten. Dabei wird die große Bandbreite dieser Bauaufgabe zwischen ‚International Style‘, ‚Euro-Islam‘ und Adaption der Architekturtraditionen der neuen Heimatländer deutlich. Die ‚Moschee der Zukunft‘ steht im Fokus.
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