Dorfarchitektur auf Sumatra

Toba Batak, Karo Batak, Minangkabau

Die indigenen Baukulturen Sumatras gehören zu den interessantesten Architekturtraditionen Südostasiens. Von besonderer Bedeutung ist die ausgeprägte Charakteristik von individuellen Bautypen in den unterschiedlichen Regionen der Insel. Diese Bautypen wurden damit zu wichtigen Identitätsfaktoren ethnischer Gruppen im Vielvölkerstaat Indonesien. Im Zuge der Globalisierung sind jedoch die individuellen Merkmale regionaler Architektur im Verschwinden begriffen. Umso wichtiger erscheint es, die noch bestehenden Objekte zu dokumentieren. Obwohl über einzelne indigene Bautraditionen Sumatras bereits ausgezeichnete wissenschaftliche Literatur existiert, wurden noch nicht in ausreichendem Rahmen direkte Vergleiche gezogen, welche die Spezifika der unterschiedlichen Baukulturen in einen konkreten Kontext stellen. Hier setzte unsere Forschungsarbeit an.

Im Rahmen des Projekts wurden drei Baukulturen in Nord- und Westsumatra gewählt und im Vergleich analysiert: Toba-Batak, Karo-Batak und Minangkabau. So unterschiedlich die Prägungen der Haustypen, welche einen essentiellen Identitätsfaktor für jene ethnischen Gruppen darstellen, auch sind, so gibt es doch auch gemeinsame Prinzipien des konstruktiven Aufbaus in dessen spezifischer dreiteiligen Gliederung in Unterbau, Wandzone und Dachzone.

Der Unterbau ist in allen drei Fällen ein Ständerbau, bestehend aus einem Skelett aus Stehern und Riegeln, welches bei den Batak offen in seiner Konstruktion präsentiert wird, während es bei den Minangkabau mit einfachen Latten und Bambusmatten verkleidet ist. Der Unterbau dient als Stallung für Haustiere, als Stauraum für Gerümpel und Abfälle, und er wird traditionell als die niederrangigste Zone betrachtet, symbolisch gleichgesetzt mit der Unterwelt und der Welt des Animalischen.


Die Wandzone wird als verplankte box-ähnliche Struktur konstruiert und erhält – im Gegensatz zum schmucklose ausgeführten Unterbau – Dekor in Form von Zierbindungen bei den Karo-Batak, ornamentalen Symbolen bei den Toba-Batak, oder aufwendigem Fassadenschmuck bei den Minangkabau. In ihrer Funktion als Aufenthaltsbereich der Bewohner wird die Wandzone symbolisch mit der irdischen Welt als Lebensraum der Menschen konnotiert.

Die Dachzonen sind in allen drei Baukulturen die auffälligsten und bedeutungsvollsten Komponenten des dreiteiligen strukturellen Aufbaus und der wichtigste Identifikationsfaktor. Häuser der Karo-Batak werden von gigantischen, steil aufragenden Fußwalmdächern bekrönt, welche in Sonderfällen einen mehrgeschoßigen Aufbau erhalten, Wohnhäuser und Speicher der Toba-Batak besitzen kurvierte Dächer mit hoch aufragenden, extrem zugespitzten Giebeln, und Wohnhäuser der Minangkabau tragen mehrfach aufschwingende Firste, deren multiple Giebelspitzen in hornartigen Aufsätzen auslaufen. Die Dachzone wird mit Ahnenkult und dem Göttlichen assoziiert; Ihrer hochrangigen Stellung entspricht das überdimensionierte Volumen ebenso wie die übertrieben erscheinende Formgebung des Dachkörpers, der in seiner individuellen Gestaltung einen wesentlichen Faktor ethnischer Identität bildet.

Basis dieses Projekts bildeten maßstabgerechte Bauaufnahmen, zeichnerische, fotografische und filmische Dokumentationen, sowie Interviews mit lokalen Bewohnern vor Ort. Das Team, welches von Mitgliedern des Fachbereichs Baugeschichte und Bauforschung geleitet wurde, setzte sich aus Lehrenden und Studierenden der Fachrichtungen Architekturgeschichte, Raumplanung, Kultur- und Sozialanthropologie, Soziologie und Kunstgeschichte zusammen, und wurde von Wissenschaftlern der Universität Nordsumatra (USU) unterstützt.

Die Ergebnisse der vergleichenden Untersuchung wurden in der Buchpublikation „Village Architecture on Sumatra. A Comparative Study: Toba Batak, Karo Batak, Minangkabau“ (Hg. Irene Doubrawa, Erich Lehner, Andrea Rieger-Jandl, Wien 2016, IVA-Verlag) zusammengefasst und auf mehreren Ebenen analysiert, wobei neben detaillierten Vergleichen der Merkmale des Aufbaus von Unterbau, Wandzone und Dachzone im Hinblick auf Entwicklungsprinzipien, Verwandtschaften und Abhängigkeiten der untersuchten Baukulturen diskutiert und Gestaltung, Ornamentierung und Symbolik in Beziehung gesetzt werden.

In weiteren vergleichenden Analysen werden Einflüsse des Klimas und der Topografie auf indigene Bauformen erörtert, Baumaterialien und Ventilation untersucht, Typologien von Siedlungsformen in funktionaler Hinsicht und unter den Aspekten von öffentlichem und privatem Raum erstellt, und Zusammenhänge zwischen der Struktur von Innenräumen und dem äußeren Erscheinungsbild von Bautypen der untersuchten Architekturtraditionen analysiert, wobei im Besonderen die Situierung und Darstellung hierarchischer Ordnungen eine wichtige Rolle spielt.

Einen anderen wichtigen Themenbereich bilden die Wechselwirkungen von Bauwerk und Gesellschaft, wobei im Vergleich der unterschiedlichen Sozialstrukturen in den Ethnien Nord- und Westsumatras besonders gender-spezifische Prinzipien untersucht werden, und auf einer allgemeinen Ebene die Bedeutung von Bautradition für die Identität von Bewohnern und ethnischen Gruppen unter dem Aspekt des aktuellen Wandels im Zeitalter der Globalisierung diskutiert wird.


Die in diesem Projekt erarbeiteten Parameter bieten eine Grundlage eines erweiterten Verständnisses der jüngsten und möglicherweise zukünftigen Veränderungen der gebauten Umwelt. Am Beispiel eines Vergleiches indigener Bautraditionen wird gezeigt, welches große Potential diese für die laufende Forschung und zukünftige Entwicklung bieten können,


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