Editorial im Magazin „kunst und kirche“ Ausgabe 4.2018
Negar Hakim und Anna Minta
Die weltweite, rasch zunehmende Vernetzung der Menschen und die internationalen Verbindungen von Kulturen, Religionen und politischen Institutionen in den letzten Jahrzehnten veränderten die Wertvorstellung der Gesellschaften. Das Lokale und das Globale sind nicht mehr Gegensätze, sondern sie werden als sich vielfältig durchdringende Ebenen betrachtet und als Facetten der Globalisierung gesehen. Seit den 1990er Jahren haben WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen, darunter vor allem der Soziologe Roland Robertson, den Begriff glocality im Bedeutungsumfang erweitert, um die lokalen Diversifizierungen der Globalisierung zu beschreiben. Glokalisierung zielt auf die Verankerung des Globalen im Lokalen und Regionalen sowie des Lokalen respektive Regionalen im Globalen. Mittlerweile ist Glokalität kein ausschließlich theoretisches Konzept mehr. Sie wird zunehmend als eine internationale Realität angesehen.
Mit dem Beginn der Moderne wurden Architektur und Kunst immer universaler und auf globale Übertragbarkeit ausgerichtet. Zahlreiche VertreterInnen der Moderne forderten eine Befreiung von lokalen, nationalen und auch historischen Bindungen aller Art und propagierten eine neue Internationalität. Der Bauhaus-Direktor Walter Gropius beschwor 1925 in seiner Internationalen Architektur, den „Wille[n] zur Entwicklung eines einheitlichen Weltbildes“. Für die Architektur verlangte er „die Objektivierung von Persönlichem und Nationalem“ sowie die „Beschränkung auf typische Grundformen und ihre Reihung und Wiederholung“, mit der Absicht, „absolute Gestalt“ zu erlangen. Noch bevor der Soziologe Shmuel Eisenstadt im Jahr 2000 den Begriff der multiple modernities für die Vielfalt der Modernen einführte, stellten WissenschaftlerInnen die Frage, ob Regionen und ihre BewohnerInnen ihre kulturelle Identität und Vergangenheit tatsächlich aufgeben oder aufgeben müssen, um einem normativen Konzept von Modernisierung zu folgen. Oder könnten mit einem gestalterischen Dialog zwischen verorteter und tradierter Kultur einerseits und universaler Lebensformen andererseits ebenfalls regionale Traditionen erhalten und zukunftstaugliche fortgeführt werden? Hierfür sind kulturelles Wissen und ein Gespür für die Vielfalt und die Dynamik von Kulturen notwendig.
Wie die Gegensätze von globaler Vernetzung, lokaler und kultureller Vielfalt ausbalanciert werden, zeigen die Beiträge zum Architektur- und Kunstschaffen in unterschiedlichen geografischen Regionen der Welt. Im Zentrum stehen vielfältige Strategien der Auseinandersetzung mit Identitätsfragen und dem sogenannten Global Contemporary. Dabei werden die Schwierigkeiten einer Balance zwischen Tradition und globaler Erwartungshaltung deutlich.