Editorial im Magazin „kunst und kirche“ Ausgabe 3.2018
Negar Hakim und Anna Minta
Das Europäische Kulturerbejahr 2018 will unter dem Titel „Sharing Heritage“ das Bewusstsein für ein europäisches Kulturerbe (immateriell/materiell) stärken, das die Vielfalt von lokalen, regionalen, nationalen und grenzüberschreitenden Traditionen erkennt und wertschätzt. Kulturerbe ist letztendlich das Ergebnis vielfältiger Transfer- und Transformationsprozesse. Im Zentrum stehen damit dynamische Prozesse des Austausches in der Vergangenheit. Das Wissen darum soll zugleich handlungsleitend für Gegenwart und Zukunft sein.
Heft 3/2018 von kunst und kirche greift das Motto des Kulturerbejahres 2018 auf und weitet den ‚europäischen’ Blick, indem es Kultur- und Wissenstransfer in globaler Perspektive diskutiert. Zugleich wird nach dem Verhältnis von kulturellem Erbe und Religion gefragt. Vor dem Hintergrund aktueller Kontroversen um kulturelle und religiöse Vielfalt wird hier auch die kritische Frage nach einer Politisierung von Konzepten des kulturellen Erbes und von Religion gestellt. Es ist zu beobachten, dass Begriffe wie Tradition, Heimat, kulturelles und religiöses Erbe in unterschiedlichen politischen und soziokulturellen Kontexten häufig für die Formulierung einer spezifischen, und damit exklusiven Identität genutzt wird. Im Gegensatz dazu hoffte die Europäische Union als Ausloberin des Europäischen Kulturerbejahres, „das Bewusstsein für die europäische Geschichte und die europäischen Werte zu schärfen und das Gefühl einer europäischen Identität zu stärken“. So ist jedoch bereits die Idee einer „europäischen Identität“ fragwürdig. Konstruktionen des Eigenen und Imaginationen des Fremden folgen meist einer Strategie, ein Identifikationsmuster kollektiver Gemeinschaftsstiftung in Abgrenzung zum Anderen anzubieten. Identität als Konstrukt, Identifikation als soziopolitische und kulturelle Strategie sollen in Heft 3 exemplarisch an Bauund Kunstprojekten diskutiert werden, die in der Eigenwahrnehmung und/ oder Fremdzuschreibung als identitätsstiftender Beitrag zur Formierung einer nationalen Kultur gelesen wurden respektive werden. Mit dem Verständnis von kulturellem und religiösem Erbe als Produkt und als kontinuierlicher Prozess von Transfer und Transformationen trägt das Heft zu den aktuellen Diskussionen um Kultur, Religion, Identität und Heimat bei. Hier werden Stereotypen des Globalen als das mutmaßlich Homogenisierende und das Lokale und Regionale als das Heterogene und Authentische hinterfragt und die vieldimensionalen Prozesse des Durchdringens von dem Eigenen und Fremden, von Heimat und Welt als dynamischer Kulturtransfer respektive (neo)kolonialer Aneignungsakt untersucht. Welche Rolle spielen Architektur und Kunst in diesen Prozessen der Sinn- und Identitätsstiftung, indem sie unseren Lebensraum gestalten und sozialen Handlungsraum prägen? Und welche Bedeutung besitzen das kulturelle Erbe und das christliche (Kultur-) Erbe für die Gemeinschaft?