Moderne Heil- und Pflegeanstalten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie

Am Steinhof.
Zur Baugeschichte der „Nö. Landes-Heil- und Pflegeanstalten
für Geistes- und Nervenkranke“ in Wien, 1903-1907

1907 schon beschreibt der einflussreichste Propagandist der „Secession“, der österreichisch-ungarische Kunstkritiker Ludwig Hevesi, die ehemaligen Niederösterreichischen Landes-Heil- und Pflegeanstalten für Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof in Wien als „weiße Stadt“, und stellt damit eine vollkommen neue Architektursprache der Moderne vor. Allerdings steht bei ihm und zahlreichen seither erschienenen Aufsätzen und Publikationen die Anstaltskirche St. Leopold von Otto Wagner im alleinigen Mittelpunkt der Betrachtungen. Es wird nicht näher auf die Formensprache und Ausführung der anderen Bauwerke dieses ausgedehnten Pavillonkrankenhauses eingegangen, das zwischen 1902 und 1907 nach Planungen und unter Leitung von Carlo von Boog und Franz Berger errichtet wurde.

Diese damals größte und modernste Anlage Europas zur stationären Pflege und Heilung psychisch Erkrankter resultierte aus der systematischen Optimierung des Krankenhausbaues innerhalb der k. u. k. Monarchie. Die innovative Zusammenarbeit zwischen Medizinern, Anstaltsdirektoren, Verwaltungsbeamten, Technikern und Architekten sowie die gezielte Förderung seitens der Politik der Kronländer erstaunt noch heute, und wurde insbesondere in den letzten zehn Jahren durch die britische Forscherin Leslie Topp international bekannt gemacht.

Alle bisherigen Untersuchungen erfolgten jedoch ohne Kenntnis des umfassenden Planbestandes, mehreren tausend Plänen, die in den letzten Jahren von der Technischen Direktion Am Steinhof zusammengetragen und zur digitalen Bearbeitung und Archivierung an das Wiener Stadt- und Landesarchiv abgegeben wurden. Die beiden Professorinnen für Architekturgeschichte beziehungsweise Kunstgeschichte an der Technischen Universität Wien, Dr. Caroline Jäger-Klein und Dr. Sabine Plakolm-Forsthuber, haben zwischen 2011 und 2014 gemeinsam mit Studierenden des Faches Architektur diese und weitere Quellen wie eine kaum bekannte Fotosammlung, eine Glasdiasammlung, die von Erwin Pendl um 1907-10 angefertigte Aquarellserie vorwiegend zum Sanatorium (die Originale befinden sich im Wien Museum) und Modellen (Technisches Museum, Steinhof), Planbüchern und Baujournale, anstaltseigene gedruckte Berichte, Statuten, Dienstvorschriften sowie die Akten zum heutigen Otto Wagner-Spital im Nö. Landesarchiv gesichtet und zu einer ausgedehnten Monografie verarbeitet.

Präsentation und Auswirkung des Forschungsprojektes

Die Publikation wurde im Juni 2015 am Krankenhausareal und im Oktober an der Technischen Universität Wien, jeweils mit großem Publikumsandrang, präsentiert. Dazwischen gab es eine Pressekonferenz in Kooperation mit diversen Bürgerinitiativen, die sich gemeinsam mit dem Expertengremium der UNESCO, ICOMOS, um eine sinnvolle Nachnutzung des in naher Zukunft verwaisten Krankenhausareales bemühen.

Seit dem 18. Dezember 2015 steht das gesamte Bauensemble des Steinhofs auch seitens der internationalen Staatengemeinschaft als „Heritage Alert“ unter besonderer Beobachtung, nicht zuletzt dank der wissenschaftlichen Baudokumentation durch das Forscherinnen-Team an der Technischen Universität Wien. ICOMOS International erinnerte im Februar 2017 erneut die Wiener Stadtregierung mit einem weltweiten Heritage Alert an ihre Verpflichtung, dieses potentielle Welterbe professionell zu schützen.

Geplante, weitere Forschungsaktivitäten zum Thema

Die Anlage am Steinhof ist jedoch nur eines von zahlreichen um 1900 auf dem gesamten Gebiet der Monarchie errichteten, modernen Heil- und Pflegeanstalten im Pavillonsystem. Von besonderem Interesse für weitere Forschungen wäre insbsondere die Anlage in Kulparkow bei Lemberg im Gebiet der heutigen Westukraine. Mit der dortigen Technischen Universität, L’viska Polytchnika, mit der das damals noch Institut für Baukunst und Bauaufnahme benannte Institut vor mehr als 20 Jahren eine Arbeitskooperation begann, soll in Zukunft die genannte Anlage bei Lemberg nach dem Vorbild der Bauforschungen am Steinhof unter Leitung von Jäger-Klein dokumentiert und publiziert werden.


Publikation:
Die Stadt außerhalb

Projektdaten