Wie haben die Sakralbauten des Islam – Gebäude, deren Name “Moschee” im Arabischen schlicht „Ort des Niederwerfens“ bedeutet – auszusehen? Diese zentrale Frage stellte sich bereits bei der Etablierung der Religion, nun gewinnt sie im Zeitalter der kulturellen Globalisierung nicht nur wieder zunehmend an Bedeutung, sondern führt gleichzeitig zu komplex angelegten Diskussionen.
Die Auseinandersetzung sowohl mit der “sakralen” architektonischen Form als auch mit den Konsequenzen, die die neuen Moscheen als Assoziationsträger mit sich bringen, ist heute nicht nur in den islamischen Ländern, sondern auch in der Diaspora zu einer großen Herausforderung geworden. Mit dieser sehen sich die Architektinnen und Architekten nun konfrontiert, sie müssen in Raum und Architektur umgesetzte Neuinterpretationen tradierter Vorstellungen liefern und mit ihren Konzepten auf den Wandel in Gesellschaft und Religionsverständnis reagieren.
Zu Beginn des Islam im 7. Jahrhundert musste für die Anbetung einer nicht darstellbaren Gottheit eine architektonische Form gefunden werden. Die ersten (Hof-)Moscheen orientierten sich daher in Funktion und Form am Wohnhaus des Propheten in Medina. Es handelte sich um ein Geviert mit einem großen Hof im Zentrum pragmatischer Räumlichkeiten, in denen nur die Gebetsrichtung durch die Kibla hervorgehoben war. Erst im Lauf des 8. Jahrhunderts erachteten die Kalifen es als notwendig, eigene Bauwerke für die wachsende Glaubensgemeinschaft zu errichten. In dieser Phase erwies sich die Umsetzung in Architektur als kompliziert, da den Bauherren keine geeigneten regionalen Bauformen als Vorbildgeber zur Verfügung standen. Die Grundrisse folgten daher weiterhin der kanonischen Form der frühen Moscheen, die Gesamtanlagen wiesen jedoch bereits komplexere geometrische Strukturen, Erweiterungen durch Säulenreihen sowie Ornamentierungen unter Verwendung vielfältiger Baumaterialien auf.
Mit der Schwächung der zentralen Autorität des Kalifats im 11. und 12. Jahrhundert verteilte sich dessen Macht auf eine Reihe neuer Staaten zwischen Nordafrika und Indien. Dieser politische Wandel rationalisierte die Architektur der Moscheen. In den folgenden Jahrhunderten kam es zu diversen Synthesen islamischer und lokaler Elemente, die sich in eigenständigen regionalen Stilen des Moscheenbaus manifestierte. Jeder islamische Staat versuchte seine stilistische Identität teils als Antwort auf das Klima und im Einklang mit den vor Ort zur Verfügung stehenden Baumaterialien und den dortigen Handwerkstraditionen zu finden. Infolgedessen entstanden in den islamischen Ländern regional unterschiedliche Moscheentypen mit eigener charakteristischer Formensprache. Dazu zählen die arabische Stützenmoschee, die persische Vier-Iwan Moschee, die indische Drei-Kuppel Moschee und die türkische Zentralkuppel Moschee, die als Symbolträger bis heute Geltung haben.
Am Beginn des 20. Jahrhunderts sah sich die islamische Welt mit dem Vordringen der westlichen Moderne und des technischen Fortschritts konfrontiert, was damals eine grundsätzliche Diskussion über islamische Bauformen, regionale Stile und “internationale Ideen” auslöste. Bezüglich der Sakralbauten wurde allerdings die Beibehaltung der bekannten visual codes und damit der tradierten Bau- und Raumkonzepte gefordert. Vor einem ideologisch besetzten Hintergrund hielt man im Wesentlichen zwar am Inszenieren der Moscheen mit Kuppeln und Minaretten weitgehend kompromisslos fest, die einzelnen islamischen Staaten folgten aber weiterhin individuell ihrem jeweils eigenen Stil. Das Ergebnis sind Moscheen, deren Architektur sich trotz der gemeinsamen baulichen Hauptmerkmale vor allem in den letzten 20 Jahren sowohl im Orient als auch im Okzident sehr heterogen weiterentwickelte. Die meisten religiösen Gemeinden wollen auch weiterhin bei ihrer eigenen sakralen Formensprache bleiben. Dies geschieht nicht zuletzt aus der Sorge heraus, dass durch die Aufnahme innovativer “moderner” Einflüsse die religiöse Identität geschwächt werden könnte.
Aber müssen die islamischen Gebetshäuser denn wirklich Kuppel und Minarett aufweisen, um funktionieren und von der Glaubensgemeinschaft in der erwarteten Würde wahrgenommen werden zu können? Und sind Musliminnen und Muslime in der Diaspora bereit, beim Entwurf einer Moschee in ihrem nichtislamischen Gastland dessen kulturellen Grundsätze zu berücksichtigen? Würden sich Alternativen auf Form, Funktions(vielfalt) und Symbolkraft der neuen Moscheen auswirken? Wenn ja, wie? Und würden solche innovativen Lösungen sogar Verständnis und Akzeptanz anderer Glaubens- gemeinschaften erhöhen und Möglichkeiten für ein vermehrtes Miteinander liefern können? Eine Auswahl von Moscheen mit diesen Potenzialen möchte die Ausstellung „Tradition :: Transformation – Moscheen im Wandel“ vorstellen.
In einem Forschung-in-der-Lehre-Projekt des Forschungsbereichs Baugeschichte und Bauforschung der TU Wien wurden Raum, Architektur und Konstruktion historischer Moscheen untersucht. Im Fokus standen aber speziell Entwicklungsgeschichte, Nutzungsveränderungen und potenziale der neueren und neuesten Moscheen innerhalb und außerhalb der islamischen Länder sowie ihre im Wandel befindliche Bedeutung als Assoziationsträger. Dies geschah vor dem aktuellen Hintergrund von Tradition und Transformation als Grundlage für eine lösungsorientierte Auseinandersetzung mit dieser Bauaufgabe. Normative architektonische Lösungen wurden aus der Perspektive verschiedener Disziplinen untersucht, so dass eine Auseinandersetzung nicht nur auf architekturhistorischer, sondern auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene möglich ist.
Marina Döring-Williams & Negar Hakim
Moscheen-im-WandelProgramm | Vortragsreihe
Mittwoch 20.11. 2019 | 18:30 Vernissage
Marina Döring-Williams | Begrüßung
Negar Hakim | Einführung und Eröffnung
19:00 | Vortrag: Paul Böhm
„Identität und Pluralität – Perspektiven für die Stadt der Zukunft“
20:00 | Ausstellungseröffnung mit Buffet
Donnerstag 21.11
18:00 Vortrag: Alen Jasarevic
„Sichtweise”
19:00 Vortrag: Ernst Fürlinger
„Streit um öffentliche Sichtbarkeit, die Rolle der architektonischen Form in den
Moscheebaukonflikten in Österreich“
19:45 Diskussionsrunde
20:00 Impulsvortrag: Senad Kusur
Nur Orte der religiösen Praxis? Moscheen und ihre Funktion in einer pluralen
Gesellschaft
20:30 Diskussionsrunde